Hildegardisfest 2025

Die Predigt von Weihbischof Leo Wagener, Luxemburg zum Hildegardisfest 2025

Weihbischof Leo Wagener, Luxemburg

Predigt zum Hildegardisfest Eibingen am 17. September 2025

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Ich stelle mein Fahrrad unter den mächtigen Spalierbäumen ab, die den Vorplatz zur altehrwürdigen Liebfrauenkirche in Damme, im belgischen Flandern säumen.

Nach dem Besuch der Kirche sehe ich mich auf dem Außengelände noch etwas um und erblicke eine mächtige Skulptur aus Bronze.

Andere Touristen sind bereits eifrig dabei mit ihren Handis Fotos von der beeindruckenden Kunstdarstellung zu machen.

Auf einem Sockel, der die Form eines Halses hat, erheben sich drei monumentale Frauenköpfe, die in verschiedene Richtungen nach oben blicken.

Die unbehaarten Köpfe tragen das gleiche Frauengesicht.

Es besticht durch die schlichte Schönheit seines Ausdrucks. Der Blick der großen Augen ist nach oben gerichtet, auf den Lippen liegt ein zartes Lächeln.

Auf dem Sockel der Skulptur ist eine kleine Plakette angebracht mit der Aufschrift: Blik van Licht, Regard de lumière, Blick von Licht, View of Licht, was wohl View of light heißen soll.

Ich mache ein paar Fotos von der Skulptur und begebe mich in den danebenliegenden Friedhof.

Von dort schaue ich zur Kirche zurück und bemerke, wie mich oberhalb der Friedhofsmauer einer der Frauenköpfe ansieht.

Die Frau, die ins Licht schaut, erhebt ihren Kopf über die Friedhofsmauer, so als ob sie mir sagen wollte, dass der letzte Blick nicht den Gräbern, nicht dem Tod, sondern dem Licht, dem Leben gilt.

Dieses - an und für sich belanglose - Ferienerlebnis hat mich zum Nachdenken gebracht.

Die Skulptur berührte mich und es war, als wollte sie mir sagen, wie Hoffnung geht.

Hoffnung ist ein Blick ins Licht, ein sich Strecken nach dem Lichtvollen.

Der gleiche Kopf, der gleiche Mensch, muss dafür vielleicht das eine oder andere Mal die Blickrichtung wechseln.

Hoffnung erhebt sich über das Schwere, über Mauern, sie sieht weiter als der Tod.

Es war etwas mit mir geschehen: Ich kam als neugieriger Tourist und stieg wieder auf das Fahrrad als Pilger der Hoffnung.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Ich gehe davon aus, dass die wenigsten von Ihnen heute mit dem Fahrrad angereist sind, aber zu Pilger der Hoffnung sollen wir - gemäß dem Motto dieses Heiligen Jahres - doch alle werden. Die Person und das geistliche Vermächtnis der Heiligen Hildegard können uns dabei helfen.

In mancherlei Hinsicht war sie eine Frau mit dem Blick ins Licht und auf das Licht hin. Schon als dreijähriges Kind macht sie die prägende Erfahrung der Schau eines Lichtes, das so groß ist, dass es ihre Seele erbeben lässt (Vita, S. 64).

Sie, die die Gabe und die Gnade der Schau verliehen bekam, deutet später das Licht als „Lebendiges Licht“, als Hinweis auf den lebendigen Gott, der sich mitteilt.

Diese Selbstmitteilung Gottes gipfelt in der Menschwerdung Jesu Christi: Deum de Deo, lumen de lumine, Deum verum de Deo vero.

Dieser innere Bezug zwischen Licht und Gott begründet die Eigenart der christlichen Hoffnung, die mehr ist als eine belebende Inspiration, die von einer noch so schönen Symbolik ausgeht.

Christen sind nicht nur symbolisch Menschen auf dem Weg zum Licht, sondern hinter dem Licht verbirgt sich für sie die Wirklichkeit Gottes, der treu ist.

Die Lichtmetapher kann in psychologischer Hinsicht durchaus motivierend sein, wenn man schwere Zeiten durchmacht. Solche dunklen Lebensphasen werden wohl die meisten von uns schon mal gekannt haben oder kennen.

Der Glaube geht aber über die Kraft des Bildes hinaus. Er bindet Page | 4 sich an den, der gleichsam hinter dem Bild steht: Gott.

Christliche Hoffnung gründet auf dem lebendigen Gott in seiner unverbrüchlichen Liebe und Treue zu uns.

Deshalb ist sie nach den Worten von Papst Franziskus „eine Hoffnung, die nicht enttäuscht.“

Diese Verankerung in Gott durch lichtvolle und rabenschwarze Tage hindurch ist nicht selbstverständlich.

Die lichtvollen Tage lassen uns Gott gerne vergessen und die rabenschwarzen lassen uns an ihm zweifeln oder auch ver-zweifeln.

Christen haben weder Gott noch die Hoffnung gepachtet. Sie sind immer auf dem Weg zu ihm hin, denn er lässt sich genauso wenig festhalten wie das Licht. Wir sind immer Ausschauende nach ihm, immer Pilger zu Ihm hin und dem Geschenk seiner Hoffnung.

Einem verzweifelten Zeitgenossen soll Hildegard geraten haben: „Schau auf zum Herrn, und die Welt wird neu!“

Der Blick ins Licht ist für sie ein Aufblicken zum Herrn. Es ist kein Blick in das Blaue des Himmels, sondern die jeweils neue Zentrierung auf den Gott des Kosmos und der Geschichte, der auch mein Leben in seiner Vaterhand trägt.

Das Wesentliche geschieht daher nicht mit den Augen, sondern mit dem Herzen.

Hoffnung fällt nicht vom Himmel, sondern sie erwächst aus dem Herzen dessen, der sich Gott neu anvertraut, im Wissen darum, dass seine Liebe trägt, auch dann noch, wenn sie uns rätselhaft und unverständlich erscheint.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Am heutigen Tag wird es eine Prozession durch Eibingen und die Weinberge zur Abtei geben. Diesen kleinen, wenn auch anstrengenden Pilgerweg sollten wir so verstehen, dass Hildegard uns einlädt, daraus eine innere Wallfahrt zu machen.

Ich verstehe darunter, dass wir uns Schritt für Schritt im Licht des Glaubens bewusst auf den dreifaltigen Gott zubewegen, auf den wir getauft sind.

Wir halten ihm das Dunkle entgegen, das wir womöglich als seelischen Ballast mit uns tragen und unser Hoffnungspotenzial ankratzt.

Die Gewissheit seiner Gegenwart in unserem Leben wird unser Dunkel in ein neues Licht stellen und aufbrechen auf Hoffnung hin.

Der Grund unserer Hoffnung liegt außerhalb von uns selbst, sonst wäre sie den wechselvollen Lauen des Lebens hilflos ausgesetzt.

Mit Hildegard setzen wir unsere Hoffnung auf den, der im Licht ist und uns zu Kindern des Lichtes und der Hoffnung für die Welt berufen hat.

Jede und jeder von uns entscheidet täglich, wohin sich sein Blick richtet: auf Negatives und Störendes, auf Angstvolles und Depressives oder aber auf Hoffnung hin, auf das Gute und Wertvolle, auf die Liebe und das Verzeihen, auf Gott und sein Reich, das durch mich anbricht, wenn ich in seinem Licht lebe.

Es mag manchmal so scheinen, als ob unser Leben einem Gang über einen nicht endenden Friedhof gleichen würde.

Aber seit der Auferstehung Jesu Christi gibt es den Blick über die Friedhofsmauer hinweg, den Blick ins Licht, in die unsterbliche Hoffnung, die von unserem Gott kommt. „Schau auf zum Herrn, und die Welt wird neu!“ Amen.

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